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ERBRECHT: Pflichtteil - Pflichtteilsergänzung

Das Pflichtteilsrecht im Erbrecht spielt dann eine Rolle, wenn der Erblasser durch letztwillige Verfügung (Testament oder Erbvertrag) von der gesetzlichen Erbfolge abgewichen ist. Das Pflichtteilsrecht steht nur einem eng begrenzten Personenkreis zu, nämlich Kindern, Ehegatten und ggf. auch Eltern, indessen nicht Geschwistern. Der Anspruch auf Pflichtteil ist ein auf Geld gerichteter Anspruch und bemißt sich der Höhe nach auf die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils.

Folgende Fallgestaltung:
Der Erblasser war in zweiter Ehe verheiratet und hatte aus der ersten Ehe eine Tochter. Diese erste Ehe endete durch Tod der Frau, mit der der Erblasser ein gemeinschaftliches Testament errichtet hatte, in dem sich die Eheleute gegenseitig zu Erben und die Tochter zur Schlußerbin des Längstlebenden eingesetzt hatten (sog. Berliner Testament). Bevor der Erblasser die zweite Ehe eingegangen war, hatte er seiner Tochter eine Immobilie geschenkt. Diese Immobilie fiel demzufolge nicht in den Nachlaß. Die zweite Ehefrau des Erblassers machte nunmehr („böse Stiefmutter“) gegen die Tochter aus der ersten Ehe Pflichtteilsansprüche geltend, war diese aufgrund des Testaments des Erblassers mit seiner ersten Ehefrau Alleinerbin.

Hat der Erblasser zu Lebzeiten einem Dritten eine Schenkung gemacht, kann der Pflichtteilsberechtigte als Ergänzung seines Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlaß wertmäßig hinzugerechnet wird. Für die vorliegende Fallgestaltung ist nunmehr die Frage bedeutsam, ob die zweite Ehefrau gegen die Tochter ihres Mannes aus erster Ehe Pflichtteilsergänzungsansprüche wegen der verschenkten Immobilie hat, war doch die zweite Ehefrau im Zeitpunkt der Schenkung noch gar nicht pflichtteilsberechtigt, da noch nicht mit dem Erblasser verheiratet.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Urteil im Jahr 1973 die Rechtsauffassung vertreten, daß die Pflichtteilsberechtigung nicht nur im Zeitpunkt des Erbfalls, sondern auch im Zeitpunkt der Schenkung bestanden haben müsse (Doppelberechtigung). Dies hätte in der vorliegenden Fallgestaltung bedeutet, daß die verschenkte Immobilie nicht zur Pflichtteilser-gänzung hätte herangezogen werden dürfen, bestand doch die zweite Ehe des Erblassers im Zeitpunkt der Schenkung noch nicht.
Diese Rechtsprechung des BGH war starker Kritik ausgesetzt mit der Folge, daß der BGH seine Rechtsprechung kürzlich änderte und mit Urteil vom 23.05.2012 den Leitsatz formulierte:
Der Pflichtteilsanspruch nach § 2325 Abs. 1 BGB setzt nicht voraus, daß die Pflichtteilsberechtigung bereits im Zeitpunkt der Schenkung bestand.

Diesem Urteil des BGH lag der Pflichtteilsergänzungsanspruch von Abkömmlingen des Erblassers zugrunde, die im Zeitpunkt der Schenkung noch nicht geboren waren. Dieses Urteil ist jedoch auch übertragbar auf das Pflichtteilsergänzungsrecht eines Ehegatten.
In diesem Zusammenhang spielt für Pflichtteilsergänzungsansprüche auch eine Zehn-Jahres-Frist eine Rolle, die allerdings nach einer seit dem 01.01.2010 geltenden Gesetzes-änderung eine Modifizierung erfahren hat. Dies zu ermitteln, erfordert dann stets eine detaillierte Einzelfallanalyse.

Michael H. König
Rechtsanwalt und Notar

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