Patientenverfügung: Sterbehilfe
Aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs
In der Juni/Juli-Ausgabe Blick in den Wohld hatte ich von einer anstehenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) in einem Revisionsverfahren berichtet, dem folgender Sach-verhalt - in Kurzfassung - zugrunde liegt: Die Mutter der Mandantin eines Rechtsanwalts hatte eine Hirnblutung erlitten, aus der ein Wachkoma (Apallisches Syndrom) resultierte. Sie war schwerst pflegebedürftig und lebte in einem Heim. Sie hatte früher erklärt, daß sie keine lebensverlängernden Maßnahmen in Form von künstlicher Ernährung oder Beatmung wünsche.
An „Schläuche“ wolle sie nicht angeschlossen sein. Vor diesem Hintergrund riet der Anwalt seiner Mandantin, den Schlauch der Magen-sonde zur künstlichen Ernährung zu durchschneiden, was sie auch tat, sollte dies den Sterbeprozeß einleiten. Dies wurde von Mitarbeitern des Pflegeheims entdeckt, wurde daraufhin die Polizei eingeschaltet. Die Patientin wurde in ein Krankenhaus verlegt und verstarb dort zwei Wochen später aufgrund eines Herzversagens bei schwerer Herzschädigung wegen Bluthochdruckerkrankung. Ein Zusammenhang mit der zuvor erfolgten Durchtrennung des Versorgungsschlauchs mit dem Tod war allerdings nach einem rechtsmedizinischen Gutachten nicht gegeben.
Gegen den Anwalt und seine Mandantin wurde ein Strafverfahren eingeleitet lediglich wegen des Vorwurfs eines versuchten Totschlags, da das Durchtrennen der Magen-sonde nicht kausal für den Tod der Patientin war. Das Landgericht hatte den Anwalt wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung von 9 Monaten verurteilt, seine Mandantin wurde indessen freigesprochen mit der Begründung, sie habe sich auf den Rat ihres Anwalts verlassen dürfen. Der Anwalt und die Staatsanwaltschaft gingen in Revision. Der Anwalt forderte Freispruch, die Staatsanwaltschaft eine höhere Strafe. Der Freispruch der Mandantin des Anwalts blieb unangegriffen.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nunmehr in der Sitzung vom 25.06.2010 auf-grund einer am 02.06.2010 durchgeführten Hauptverhandlung das Revisionsurteil wie folgt verkündet:
- Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts aufgehoben. Der Angeklagte wird freigesprochen.
- Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil wird als unbegründet verwor-fen.
- Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
Dieses Urteil berührt die Abgrenzungsproblematik der aktiven Sterbehilfe, die unzulässig ist, von der passiven Sterbehilfe, die vorliegend als rechtmäßiger Abbruch einer lebenserhaltenden medizinischen Behandlung aufgrund des Patientenwillens qualifiziert wird. Entscheidend ist also der Patientenwille, der Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts ist.
Der vorliegende Fall weist die Besonderheit auf, daß nicht lediglich eine Nahrungszufuhr, wie vom Patienten gewünscht, unterlassen wurde, daß vielmehr aktiv eine Sonde, die der Nah-rungszufuhr dienen sollte und von der Heimleitung unter Mißachtung des Patientenwillens angeordnet war, durchtrennt wurde. Dies hatte die Vorinstanz, die den Anwalt zu einer Bewährungs-Freiheitsstrafe verurteilte, als aktive Sterbehilfe und somit als verboten qualifiziert. Diesen Rechtsstandpunkt hatte früher auch der BGH vertreten, hält in seinem Urteil vom 25.06.2010 an dieser Rechtsprechung jedoch nicht mehr fest, dies unter Hinweis und Berücksichtigung des Patientenverfügungsgesetzes vom 29.07.2009. Danach ist der in einer Patientenverfügung konkret zum Ausdruck gekommene Behandlungswunsch maßgeblich für die Behandlung eines Patienten, wenn er aktuell einwilligungsunfähig geworden ist. Sein zuvor in einer Patientenverfügung manifestierte Behandlungswunsch ist dann für einen Betreuer sowie für den behandelnden Arzt bindend.
Vor diesem Hintergrund war der anwaltliche Rat kein Beitrag für eine aktive Sterbehilfe, wurde vielmehr in der rechtlichen Bewertung als Unterlassen und damit als passives Verhalten angesehen, führte dies dann zum Freispruch.
Vor diesem Hintergrund gewinnen Patientenverfügungen an Gewicht und Bedeutung. Eine Patientenverfügung enthält eine verfahrensrechtliche Absicherung für die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts eines Patienten, der selbst später zu einer Willensäußerung nicht mehr in der Lage ist. Die Patientenverfügung soll gewährleisten, daß sein Wille über den Zeitpunkt des Eintritts der Einwilligungsunfähigkeit hinaus Geltung und Beachtung hat.
Die Kriterien für eine wirksame Patientenverfügung sind gesetzlich normiert.
Michael H. König
Rechtsanwalt und Notar